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Weihnachten

Als die Prinzessin an diesem Morgen die Augen aufmachte, fiel ihr Blick auf ein leeres Kissen. Wo war denn das Schnuffelchen? Es lag doch sonst immer neben Ihr.

"Schnuffelchen?" rief die Prinzessin halblaut. Im Kamin begann es zu rascheln. "Schnuffelchen, bist Du da drin?" fragte sie und ging zum dunklen Feuerloch.

Das kleine Schnuffelchen stand im Kamin und war an einer Seite ganz schwarz vom Ruß. Es hielt sich ein Auge zu und peilte mit dem anderen an der Innenwand des Schornsteins entlang nach oben. "Was machst Du denn da?" wunderte sich die Prinzessin.

"Ich muss was nachguckseln" murmelte das Schnuffelchen. "Überprüfseln?" machte sich die Prinzessin lustig. "Was denn?"

"Wenn der Weihnachtsmann durch den Kamin kommt, dann bleibt er an dem Stein da oben hängen. Der da, siehst Du?" Das Schnuffelchen zeigte nach oben. Und tatsächlich ragte ein Stein im Kamin ein wenig heraus.

"Aber Schnuffelchen..." Die Prinzessin musste lachen. "Jetzt gibt es Dich schon so lange, und Du glaubst immernoch die Geschichte vom Weihnachtsmann? Das ist doch was für kleine Menschenkinder."

Das Schnuffelchen hüpfte verrußt aus dem Kamin und stemmte die Ärmchen in die Hüften. "Den Weihnachtsmann gibt es. Jawohl! Und er rutscht durch den Kamin, jedenfalls erzählen sich das die Menschen." Das Schnuffelchen wollte nicht zugeben, dass die Prinzessin vielleicht recht haben könnte.

Die Prinzessin nahm ein Tuch und begann das Schnuffelchen abzuwischen. Dann erklärte sie: "Der Weihnachtsmann ist wirklich nur ein Märchen, das die Menschen lieben und sich zur Weihnachtszeit erzählen. In Wirklichkeit würde der Weihnachtsmann doch gar nicht durch den Kamin passen. Du hast doch bestimmt schon einmal Bilder vom Weihnachtsmann gesehen. Der ist doch so dick wie eine Weihnachtsgans. Ich glaube nicht, dass es viele Kamine in unserem Land gibt, durch die er passen würde."

Das Schnuffelchen blieb bei seiner Geschichte: "Und woher kommen dann jedes Jahr die Geschenke, über die sich alle Menschen so freuen?" wunderte es sich.

"Na, die kaufen die Menschen oder basteln sie selbst, und dann wird alles eingepackt und unter den Baum gelegt. Ich muss heute unbedingt in die Stadt fahren, heute abend ist schon Heiliger Abend und mir fehlen immernoch ein paar Kleinigkeiten für das Personal. Das ist nämlich meine Aufgabe. Mami und Papi... ich meine die Königin und der König pflegen die weihnachtlichen Traditionen für das ganze Land. Deswegen kümmere ich mich um das Schloss." Sie zog sich rasch an.

"Nur Katzenwäsche, ich hab's genau gesehen!" rief das Schnuffelchen und hüpfte auf den Stuhl neben die Prinzessin. Zur Strafe sprühte die Prinzessin mit ihrem Parfümzerstäuber auf das Schnuffelchen, das nach Luft rang.

"Kein Wort wirst Du verraten, hörst Du!" ermahnte die Prinzessin das Schnuffelchen. "Ich fahre jetzt los. Bis zum Abend bin ich zurück. Mach keinem auf, wenn ich nicht da bin. Wir erwarten heute niemanden."

Mit diesen Worten ging die Prinzesin hinaus auf den Hof und bestieg eine Kutsche, die für den Winter mit Schlittenkufen versehen war. Mit ihr fuhr sie sodann in Windeseile durch das Tor davon. Das Tor wurde geschlossen und das Schnuffelchen war allein.

Es war langweilig, so allein im Schloss. Das Schnuffelchen dachte sich, wie gut es jetzt ein paar Weihnachtsgeschenke gebrauchen könnte. Aber seit es von der Prinzessin gehört hatte, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gab, fragte es sich, ob wenigstens die Prinzessin an ein Geschenk denken würde. Schließlich gehörte das Schnuffelchen ja inzwischen auch zum Schloss.

Draussen blies der Wind Schneeflocken am Fenster vorbei. Der Schnee war so tief, dass das Schnuffelchen von der obersten Zinne hätte springen können, ohne sich ernsthaft zu verletzen. Nur wer würde es dann aus dem Schnee ausgraben? Das Schnuffelchen saß am Fenster und dachte über all die Spiele nach, die es nur mit der Prinzessin spielen konnte.

Plötzlich hörte es Klingelgeräusche. Es klang wie Glocken, wie kleine Glöckchen. "Glöcklis..." dachte das Schnuffelchen. Dann war ein Trampeln zu hören, und dann klopfte es dumpf aber kräftig am Tor.

"Vielleicht ist die Prinzessin schon zurück?" dachte das Schnuffelchen bei sich. Aber das konnte nicht sein. Bei diesem Wetter war sie wahrscheinlich noch nicht einmal in der Stadt angekommen. Außerdem hatte die Prinzessin einen Schlüssel und einen Kutscher, der öffnen konnte.

"Nicht aufmachen, nicht aufmachen..." Das Schnuffelchen hüpfte nervös hin und her. Zu gern hätte es nachgesehen, wer da draussen war. Aber es durfte ja nicht öffnen. Und das schwere Tor hätte es sowieso niemals alleine aufmachen können.

Nach einiger Zeit des vergeblichen Klopfens gab es der Besucher wohl auf, denn es waren wieder die Glocken und das Stampfen zu hören, das sich rasch entfernte.

Nun ruschte das Schnuffelchen schnell auf dem Schnee durch eine der Abwasserrinnen, durch die der Hof bei Regen entwässert wurde.

Vor der Burgmauer plumpste es in den Schnee und sah einer Schlittenpur nach. Doch was dort davon fuhr, konnte das Schnuffelchen kaum glauben. Es war ein Schlitten voller Geschenke, mit Rentieren davor und einem dicken Mann mit rotem Mantel und roter Zipfelmütze. Kein Zweifel: Der Weihnachtsmann war da gewesen.

Das Schnuffelchen saß vor Enttäuschung starr auf einem Häufchen Schnee. Fassunglos blickte es dem Weihnachtsmann nach.

"Oh nein, er ist weg..."

"Ja, er ist weg, so ein Mist" antwortete das Schnuffelchen. "Aber wer spricht denn da?"

Als sich das Schnuffelchen umdrehte, stand ein kleines weisses Bärchen hinter ihm. Es hatte auch eine rote Mütze auf dem Kopf und sah etwas verwirrt aus.

"Wer bist Du denn??? Bist Du ein Ersatzweihnachtsmann?" wunderte sich das Schnuffelchen.

"Ich bin ein Weihnachtsbärchen. Wir sitzen auf dem Schlitten und klingeln mit dem Glöckchen, wenn der Weihnachtsmann herumfährt. Der Schlitten ist so gut gefedert, dass die Glöckchen von allein zu leise klingeln. Deswegen gibt es uns." antwortet das Weihnachtsbärchen.

"Und warum bist Du dann nicht auf dem Schlitten?" wollte das Schnuffelchen wissen.

"Weil ich runtergehüpft bin. Wenn der Weihnachtsmann Geschenke bringt, dann dauert das immer sehr lange und uns ist langweilig. Naja, und so ein Schloss sieht man ja nicht alle Tage aus der Nähe. Da war ich eben neugierig." Das Bärchen blickte verschämt zu Boden.

"Oh, das ist ein toller Zufall!" freute sich das Schnuffelchen. "Mir ist nämlich langweilig und ich kann Dir das ganze Schloss zeigen." Es rutschte auf der Regenrinne durch die Mauer zurück auf den Hof des Schlosses.

"Du bist ein Schnuffelchen" stellte das Bärchen fest.

"Woher weisst Du das?" fragte das Schnuffelchen erstaunt. Niemand kannte doch die Schnuffelchen, weil es schon so lange keine mehr in den Tälern gab.

Das Bärchen streichelte dem Schnuffelchen die Schneeflocken vom Fell. "Das merkt man gleich. Alle Schnuffelchen sind lieb und lustig und freundlich. Jeder weiss das."

"Kennst Du andere Schnuffelchen?" Das Schnuffelchen wurde ganz aufgeregt. "Ich suche schon soviele Jahre nach einem anderen Schnuffelchen."

"Ich weiss nicht, ob es noch andere gibt. Früher gab es sie überall. Aber dann kamen immer mehr Menschen und irgendwann waren kaum noch Schnuffelchen übrig. Ich wusste gar nicht, dass es überhaupt noch welche gibt." erklärte das Bärchen.

Das Schnuffelchen war geknickt. Vielleicht war es ja wirklich das allerletzte Schnuffelchen auf der ganzen Welt. Und es hatte keine Ahnung, was mit den anderen passiert war.

"Naja," tröstete es sich, "wenigstens habe ich jetzt Dich zum Spielen."

"Ich kann aber nicht lange bleiben" erklärte das Bärchen. "Ich muss zurück zum Weihnachtsmann. Wir Weihnachtsbärchen sind nur zur Weihnachtszeit wach. Am ersten Advent wachen wir auf und helfen dem Weihnachtsmann. Und am 6.Januar fallen wir in den Sommerschlaf."

"Ist das immer so?" wollte das Schnuffelchen wissen. "Dann weisst Du ja gar nicht, wie der Sommer ist. Bist Du schon mal im Sommer aufgewacht, wenn die Blumlis blühseln und die Voglis zwitschseln?"

"Was? Zwitschseln? Wie bitte? Was soll denn das heissen?" wunderte sich das Bärchen. "So ein Wort gibt's doch gar nicht. Kann es sein, dass Du einen Sprachfehler hast?" und es kicherte bei dem Gedanken. Und sein Kichern klang - wie ein Glöckchen.

"DU bist eines der Glöckchen!" rief das Schnuffelchen.

Das Bärchen blickte verschämt zu Boden und wurde ganz rot um die Nase. "Ach was" sagte es und winkte ab.

"Jetzt kenne ich Dein Geheimnis" freute sich das Schnuffelchen. "Aber Du kannst mir vertrauen. Ich verratsele es keinem weiter."

"Und Du hast einen Sprachfehler" Das Bärchen blieb dabei.

"Nein, das ist die Schnuffelchen-Sprache. Aber die brauchst Du nicht zu lernen. Komm, jetzt zeig ich Dir das Schloss." Mit diesen Worten zog das Schnuffelchen das Weihnachtsbärchen durch die Tür. Sie gingen durch alle Räume und das Bärchen war ganz beeindruckt von so einem großen Haus. Den Turm des Zauberers ließ das Schnuffelchen sicherheitshalber aus. Man wusste nie, ob er da war und in seinem Zauberzimmer war das Betreten sowieso verboten.

Plötzlich waren wieder Glocken zu hören. Das Bärchen wurde ganz aufgeregt und stürmte zum Tor. Es rutschte durch die Mauer hinaus. Das Schnuffelchen konnte kaum Schritt halten.

Da kam tatsächlich der Weihnachtsschlitten auf die beiden zugefahren. Der Weihnachtsmann hielt vor dem Tor und streckte die Hand nach dem Bärchen aus.

"Hohoho hoho hohoho" lachte der Weihnachtsmann mit einer so tiefen Stimme, dass das kleine Schnuffelchen sich noch viel kleiner vorkam. "Wen haben wir denn hier verloren?" Mit diesen Worten hob er das Bärchen zu sich hoch und setzte es liebevoll auf den Schlitten. Das Bärchen winkte den dicken Weihnachtsmann zu sich und flüsterte in sein Ohr, das man vor lauter weissen Haaren gar nicht richtig sehen konnte.

"Sosohohoho..." dröhnte der Weihnachtsmann. "Wir haben Besuch am Schlitten, ganz besonderen Besuch sogar. Na dann steig auf, kleines Schnuffelchen." Und er hob auch das Schnuffelchen auf den Schlitten.

Das Schnuffelchen war völlig erstarrt. Noch heute morgen hatte ihm die Prinzessin erklärt, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gab, und jetzt durfte es sogar auf seinem Schlitten sitzen.

"Herr... W... W... Weihnachts... ähem... mann..." stammelte es.

"Du kannst mich ruhig "Weihnachtsmannli nennen, wenn Du willst. Ich kenne Eure Sprache. Ich weiss alles über die Schnuffelchen. Mich gibt es schon so lange wie Euch."

"Gibt es denn noch andere ausser mir?" fragte das Schnuffelchen.

"Ooooh hohohoho..." Der Weihnachtsmann hob seine buschigen Augenbraun. "Kommt da ein Wunschli auf mich zu, kleines Schnuffelchen?" Er streichelte das Schnuffelchen ganz vorsichtig. "Mache Dir da nicht zuviele Gedanken. Nichts geschieht durch Zufall. Alles kommt, wie es kommen soll."

"Das sagt der Zauberer auch immer, aber wo sind denn die anderen Schnuffelchen?" wollte das Schnuffelchen wissen und wäre dem Weihnachtsmann vor lauter Neugier am liebsten in den großen weissen Bart gesprungen.

"Euer Zauberer ist ein sehr weiser Mann. Ich habe ihm schon Geschenke gebracht, als er noch ein kleiner Junge war." erinnerte sich der Weihnachtsmann. "Nur soviel, kleines Schnuffelchen: Das Leben besteht aus Stationen. Sei nicht traurig. Und denk auch mal an die Menschen um Dich."

Damit gab er dem Schnuffelchen ein kleines Geschenk, dessen rosa Papier Blumen und das Wappen des Königshauses zeigte. "Das ist Dein Geschenk für die Prinzessin heute abend."

Mit diesen Worten setzte er das Schnuffelchen wieder in den Schnee zurück. Oben auf seinem Schlitten glitzerten die anderen Geschenke und die Bärchen winkten herunter. Aber eines freute sich ganz besonders und winkte viel toller als alle anderen.

Als das Schnuffelchen zurückwinkte, setzte sich der Schlitten in Bewegung, der Weihnachtsmann rief mit seiner tiefen Stimme "Frohe Weihnachten, frohe Weihnachten" und mit einer Hand warf er eine Wolke funkelnder Sterne an den Himmel, die langsam verglimmten.

Erst jetzt fiel dem Schnuffelchen auf, wie dunkel es schon war. Es packte sein Geschenk und verschwand durch das Loch in der Mauer.

Als die Prinzessin an diesem Abend zurück kam, empfing sie das Schnuffelchen mit glänzenden Augen auf dem Bett.

"Schau mal, Schnuffelchen, das habe ich Dir mitgebracht" sagte die Prinzessin und überreichte ihm ein Geschenk, das zwar eingepackt war, das aber für eine Schnuffelnase sofort nach Schokolade roch. Das Schnuffelchen legte es unter den kleinen Baum im Zimmer und sagte "Erst musst Du auspacken."






Die Prinzessin war mehr als erstaunt. "Aber Schnuffelchen...? Woher hast Du denn ein Geschenk für mich?"

Das Schnuffelchen grinste nur und murmelte "Das hat der Weihnachtsmann gebracht."