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Das Schnuffelchen lernt Lesen

Den ganzen Tag lang waren die Prinzessin und das Schnuffelchen durch die Wiesen spaziert und hatten sich dabei verrückte Spiele ausgedacht. Das Schnuffelchen konnte sich gar nicht erinnern, wie lange es her war, daß es einen so lustigen Tag erlebt hatte. Aber auch der schönste Tag geht zu Ende. Nun war es Abend geworden.

Während die Prinzessin bereits ihr Nachthemd angezogen hatte und unter die Bettdecke schlüpfte, rutschte das Schnuffelchen unruhig auf dem Rahmen des Bettgestelles hin und her. Wäre das nicht so hoch gewesen, dann wäre das Schnuffelchen am liebsten zum Tuch hinaufgeklettert, welches das Dach des Himmelbettes bildete. Aber dafür war es viel zu klein.

"Schnuffelchen, komm jetzt, ich will schlafen" sagte die Prinzessin und rieb sich die Augen. Das Schnuffelchen kroch unter die Decke, bis nur noch die Augen und sein Haarschopf hervorschauten. Vorsichtig beobachtete es aus dem Augenwinkel die Prinzessin. Als diese herübersah, öffnete das Schnuffelchen demonstrativ den Mund und gähnte, so sehr es nur konnte. Die Prinzessin löschte das Licht und wünschte "Gute Nacht". "Schnuffel-Nacht" wünschte das Schnuffelchen zurück. "Ja, Schnuffelchen-Nacht" korrigierte sich die Prinzessin. "Nein", sagte das Schnuffelchen, "nur Schnuffel-Nacht." "Na gut, Schnuffel-Nacht" stöhnte die Prinzessin und drehte sich zur Seite. "Ja, Schnuffel-Nacht" murmelte das Schnuffelchen und drehte sich zur anderen Seite.

Die Minuten verstrichen. Doch das Schnuffelchen konnte nicht einschlafen. Es begann an der Bettdecke herumzuzupfen. "Was machst Du denn da?" fragte die Prinzessin. "Ich versuche einzuschlafen" antwortete das Schnuffelchen. Aber es klappte nicht. Das Schnuffelchen versuchte wirklich mit aller Kraft einzuschlafen. Es zitterte am ganzen Körper, so sehr strengte es sich an. "Schnuffelchen, das ganze Bett vibriert! Was ist denn los?" ärgerte sich die Prinzessin. Es wurde still. Nach einer kurzen Pause hörte sie das Schnuffelchen in der Dunkelheit mit leiser Stimme "Hunger habsel!"

"Oh nein, Schnuffelchen, das gibt's doch nicht. Also, erstes heißt es 'haben', und nicht 'habseln', und zweitens ist das Abendessen bereits vorbei. Und daß wir nur noch Reste davon bekommen haben liegt daran, daß wir wegen dir zu spät heimgekommen sind." Der Prinzessin war jedes Mittel recht, um nur endlich schlafen zu dürfen.

Das Schnuffelchen hüpfte mit einem Satz unter der Decke hervor und stellte sich in voller Größe - falls man davon sprechen konnte - auf den Bauch der Prinzessin, so daß es ihr direkt ins Gesicht schauen konnte. Dazu stemmte es die kleinen Hände in die Hüften, und es hätte wohl eindrucksvoll gewirkt, wenn es nicht gerade ein Schnuffelchen gewesen wäre. So wirkte es eher lustig. Die Prinzessin schaltete das Licht wieder ein. Das Schnuffelchen holte Luft und machte einen Schmollmund.

"Erstens", sagte es entschieden, "sage ich 'habseln' solange ich will, und zweitens war es doch so lustig heute, und da habe ich die Zeit vergessen. Aber jetzt hab ich Hunger." - "...hast Du Hunger, oder habselst Du Hunger?" grinste die Prinzessin. "...habsel ich... mein Bauch knurrselt..." - "Schnuffelchen", unterbrach die Prinzessin, "Du brauchst mal einen Deutschkurs. Du sagst ja alle Wörter falsch." - "Nein nein!" ereiferte sich das Schnuffelchen, "Du brauchst einen Schnuffelchen-Kurs, damit Du mich verstehst."

"Gut, wie Du meinst..." stöhnte die Prinzessin, ergriff das Schnuffelchen und zog es wieder unter die Decke. "Gute Nacht - ich meine - Schnuffel-Nacht. Denk an etwas Schönes, dann schläfst Du gleich ein."

Es wurde wieder dunkel. Und ruhig. Einige Minuten vergingen. Das Schnuffelchen seufzte. Es seufzte immer häufiger. Die Prinzessin wußte nicht mehr weiter. "Schnuffelchen, an was denkst Du?", wollte sie wissen. "Schokoladenkuchen!" seufzte das Schnuffelchen als Antwort. "Wir haben aber keinen Schokoladenkuchen. Der ist noch in der Packung, und die steht in der Küche." Das Schnuffelchen wunderte sich, denn es hatte noch nie gesehen, daß ein Kuchen in einer Packung war, höchstens in einem Ofen. Das leuchtete ihm ein: Statt im unpraktischen Ofen konnte man Kuchen gleich in der Packung machen. Da kam ihm eine Idee: "Wir können die Packung doch holen und den Kuchen machen." - "Nein, das dauert eine Stunde. Den kannst Du alleine machen. Steht alles auf der Schachtel", sagte die Prinzessin genervt, drehte sich mit dem Rücken zum Schnuffelchen und rührte sich nicht mehr. Sie konnte jedoch hören, wie das Schnuffelchen vom Bett auf den Boden plumpste und das Zimmer verließ.

Gerade als die Prinzessin eingenickt war, wurde sie von einem Pieken im Rücken wieder hellwach. "Aua, was ist denn das?" fragte sie und drehte sich um. Das Licht war noch an, im Bett lag das Schnuffelchen, und zwischen den beiden lag eine Schachtel Backmischung für Schokoladenkuchen. "Was machst Du denn da???" Die Prinzessin war entsetzt. Sie ahnte, daß das Schnuffelchen den Kuchen im Bett zubereiten wollte. Sie sah sich und ihr Zimmer schon von oben bis unten mit Backmischung gepudert.

"Ich kann das nicht lesen" sagte das Schnuffelchen leise und war ein bißchen traurig. "Wie macht man denn den Kuchen?" Die Prinzessin wunderte sich. Wie hatte das Schnuffelchen denn die Schachtel gefunden, wenn es nicht lesen konnte, was darauf stand. Doch sie erkannte sofort, weshalb es diese Schachtel gewählt hatte: Das Schnuffelchen streichelte mit seinem kleinen Finger vorsichtig über die Abbildung der Schokostreusel und flüsterte "...schlapsel... schlapsel...", als wollte es die Streusel mit einem Zauberspruch zum Leben erwecken.

"Also, schau mal", sagte die Prinzessin, während sie das Schnuffelchen zu sich herüberzog. "Da steht das Rezept. Ich lese es Dir jetzt vor. Und Du mußt versuchen, die Wörter mitzulesen." So saßen sie nun beide im Bett und lernten das Rezept. Das Schnuffelchen lernte schnell. "Schoko-" konnte es sofort und fand das Wort auf allen Seiten der Packung in verschiedenen Varianten: Schokokuchen, Schokocreme, Schokostreusel, Schokopulver, Schokomasse... "Was ist denn eine Schokomasse?" wunderte sich das Schnuffelchen. Die Prinzessin erklärte es so: "Das ist der Teig, der entsteht, wenn man das Pulver aus dem Karton mit Milch zusammenschüttet und umrührt. 'Schokomasse' ist ein Hauptwort im Gegensatz zu den Tunwörtern..." Das Schnuffelchen sah sie fragend an. Was ein Tunwort war, erklärte sich ja von selbst, aber ein Hauptwort. "Was denn für ein Haupt? So wie Kopf? Oder wie Hauptbahnhof???" - "Nein, schau mal, ein Hauptwort ist zum Beispiel 'Schokokuchen' oder 'Schokostreusel' oder 'Prinzessin'..." Das Schnuffelchen hatte schon seine eigene Erklärung gefunden: "Alles, was man habseln will." - "Ja, gewissermaßen..." grübelte die Prinzessin und freute sich über das Kompliment.

Es dauerte nicht lange, bis das Schnuffelchen vor lauter Gier Hauptwörter zu 'Habsel-Wollen-Wörtern' machte, was dazu führte, daß automatisch alle Dinge, die es nicht haben wollte, keine Hauptwörter sein konnten. Die Prinzessin bemühte sich, so gut sie konnte. Nach unendlichen Stunden wollte das Schnuffelchen noch ein letztes Mal das Rezept hören. Die Prinzessin starrte mit Ringen unter den Augen an die Decke und begann auswendig aufzusagen: "Dieser lockere Schokokuchen gelingt im Handumdrehen. Geben Sie den Inhalt des Beutels in eine geeignete Rührschüssel, fügen Sie 175ml Milch hinzu und rühren Sie die Schokomasse etwa 3 Minuten auf Stufe 1..."

Weiter kam sie nicht. Als sie wieder herunter sah, war das Schnuffelchen schon tief und fest eingeschlafen. Es lag mitten im Bett und machte sich so breit, als gehörte es ihm ganz allein. Da saß sie nun, mit einem Schnuffelchen und einer Packung Backmischung im Bett. Draußen dämmerte es.