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Morgens am See

Vor dem See stand ein kleines Bootshaus mit geschwungenem Dach, doch man erkannte es nur als schwarze Siluette.

Auf dem See dahinter schwebte leichter Dunst und in seiner glatten Oberfläche spiegelten sich rosa die Wolken am Himmel, während die orangenen Nebenschwaden aus den Bergwäldern am Horizont die ersten Sonnenstrahlen verrieten.

Das Wasser schien wie eine Glasplatte dazuliegen und von den ersten geöffneten Blüten der Büsche am Waldrand stieg der Duft des Sommers empor.

Das Schnuffelchen kuschelte sich in seine Decke, die es mitgebracht hatte.

Es hatte am Tag zuvor einen Regenbogen über dem See gesehen und war nun überzeugt, dass hier irgendwo ein anderes Schnuffelchen sein müsste.

Die halbe Nacht war es durch den Wald gewandert, um morgens diese Stelle zu erreichen. Nun saß es hier und wartete auf den Sonnenaufgang. Ein erster Vogel segelte über den See und grüßte lautlos herüber.

Als die Sonnenstrahlen das Wasser erreichten, begann es im Dunst hell zu glühen. Der Steg beim Bootshaus spiegelte sich. Das Schnuffelchen war sich sicher, dass es keinen schöneren Ort auf der Welt geben konnte als sein Tal, sein kleines Königreich.

Seit ewigen Zeiten wurde unter den Schnuffelchen die Legende weitergegeben, dass am Ende eines Regenbogens ein Schnuffelchen sitzt, dass den Regenbogen hochhält.

Bei jedem Regenbogen war das Schnuffelchen voller Freude und Hoffnung gewesen, und heute morgen hatte es die Stelle aufgesucht, an der gestern der Regenbogen geendet hatte.

Das Schnuffelchen saß auf der Wiese am Waldrand vor dem See und sah der Sonne zu.

Wenn es noch andere Schnuffelchen gab, dann würde es früher oder später wieder einen Regenbogen geben. Und irgendwann würde das Schnuffelchen dann rechtzeitig zur Stelle sein.

Aus seinem Vorrat kramte es ein Stückchen Schokolade heraus und legte es in das Astloch eines Baumes. Vielleicht - so dachte es sich - vielleicht könnte das ein Zeichen sein, das ein anderes Schnuffelchen erkennen würde.

Dann lief es den Weg zurück zum Schloss. Es hüpfte die Stufen des Westturmes hinauf, um den Zauberer zu wecken. Er wusste viel und er hatte schon gelebt, als es in den Tälern noch viele Schnuffelchen gegeben hatte. Doch nicht einmal er vermochte zu sagen, wohin sie verschwunden waren.

Das Schnuffelchen erzählte ihm von dem Regenbogen und dass es die Schokolade im Baum versteckt hatte. Warum konnte der Zauberer nicht einfach einen Regenbogen herbei zaubern? Das wäre doch leicht. Dann müsste man nur noch zum Ende gehen und bestimmt würde dort ein Schnuffelchen warten.

Der Zauberer winkte ab. "Weisst Du denn nicht, dass es verboten ist, das Wetter zu beeinflussen? Der Zauberer hat die Aufgabe, die Welt im Gleichgewicht zu halten." Wie oft hatten sie schon diese Unterhaltung geführt. Aber das Schnuffelchen kam immer wieder mit dieser Idee. Also erklärte es ihm der Zauberer erneut: "Wenn ich das Wetter ändere und einen Regenbogen erzeuge, dann wird wieder jemand unzufrieden sein, weil er sich ein anderes Wetter gewünscht hätte. Sobald jemand das Wetter beeinflusst, wird es Unfrieden geben. Das ist eine feste Regel, die alle Zauberer kennen. Ich weiss, woher das Wetter kommt, und ich kann es auch vorhersagen, aber ändern darf ich es nicht."

Das Schnuffelchen bekam als Trost ein Schnuffelini mit auf den Weg. Dann ging es zur Prinzessin und kuschelte sich müde unter die Decke.

Der Zauberer ging in den Wald, weil er Wurzeln und Kräuter holen musste. Dabei kam er auch am See vorbei, an dem das Schnuffelchen den Sonnenaufgang erlebt hatte. Er sah im Baum nach, wo die Schokolade liegen sollte.

Doch die Schokolade war verschwunden!